Mit Paula Kommoss hat die Overbeck-Gesellschaft Lübeck seit diesem Herbst eine neue Direktorin, die für frischen Wind sorgen will. Nach Stationen in Freiburg, Frankfurt, Venedig und Kassel bringt sie ihre Erfahrung und eine klare Vision mit in die Hansestadt. Im Gespräch mit Kristof Warda erklärt die Kuratorin, was sie nach Lübeck zog, wie sie zeitgenössische Kunst versteht und wie sie die Stadtgesellschaft in ihre Arbeit einbinden möchte.
kulturkanal.sh: Frau Kommoss, Sie sind erst seit wenigen Wochen in Lübeck. Haben Sie sich schon eingelebt?
Paula Kommoss: Ich finde Lübeck spannend. Die Nähe zum Meer ist etwas, das ich im Süden Deutschlands nicht hatte – und ich merke das an der Luft, an der Atmosphäre. Das ist erfrischend anders. Ich bin neugierig auf die Stadt, auf ihre Geschichten und natürlich auf die Menschen hier. Ich glaube, das ist ein guter Ausgangspunkt, wenn man irgendwo neu ankommt.
Was hat Sie dazu bewogen, nach Lübeck zu kommen und die Leitung der Overbeck-Gesellschaft zu übernehmen?
Nun, ich habe einen spannenden Ort gesucht, der geeignet ist, mein kuratorisches Programm umzusetzen. Von der Overbeck-Gesellschaft hatte ich vorher schon in einem Vortrag von Meike Behm gehört. Als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine sprach sie über die Anerkennung der Kunstvereine als immaterielles Kulturerbe – eine Initiative, die sie angestoßen hatte. Meike Behm erwähnte in ihrem Vortrag auch den Overbeck-Pavillon. Mich hat das neugierig gemacht und ich habe mich anschließend näher mit dem Kunstverein befasst. Die Architektur des Pavillons war ein Schlüsselmoment. Es ist ein einmaliger Ort, der wirklich für Kunst gebaut wurde, das ist eine Seltenheit. Viele Kunstvereine befinden sich in Orten, die zuvor einen anderen Nutzen hatten, wie etwa ehemaligen Lagerhallen oder ähnlichen Gebäuden. Hier wurde der Raum von Anfang an für Kunst und Austausch gedacht. Dazu kommt, dass Lübeck eine Stadt mit großer kultureller Tradition ist und die Overbeck-Gesellschaft eine starke Verankerung in der Stadtgesellschaft hat. Das alles bietet wunderbare Voraussetzungen für meine Arbeit.
Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben? Was bedeutet zeitgenössische Kunst für Sie?
Für mich ist zeitgenössische Kunst eine Befragung unserer Gegenwart: In was für einer Gesellschaft leben wir? Wie können wir neue Perspektiven gewinnen? Kunst ermöglicht uns, innezuhalten, zu reflektieren und etwas Neues zu erfahren, das wir vielleicht nicht mit anderen Mitteln ausdrücken könnten. Es gibt dabei nicht die eine richtige Herangehensweise, das macht die Arbeit als Kuratorin so einzigartig. Jede meiner Ausstellungen bringt andere Themen und Fragestellungen mit sich, die sich aus der Kunst und dem Ort heraus entwickeln.
Sie haben den Pavillon schon angesprochen. Welche Rolle spielt dieser Ort in Ihrem Konzept?
Eine große! Die Architektur ist für mich nicht nur der Rahmen, sondern auch Teil der Inspiration. Mein Ansatz ist ortsspezifisch: Ich möchte Künstlerinnen und Künstler einladen, direkt auf den Pavillon, seine Geschichte und Umgebung zu reagieren. Das soll dazu führen, dass die Ausstellungen unverwechselbar werden und eng mit Lübeck verbunden sind. Mein Ziel ist es, den Kunstverein immer wieder neu sichtbar zu machen – auch für die Lübeckerinnen und Lübecker, die ihn vielleicht schon lange kennen.
Wie möchten Sie die Stadtgesellschaft einbinden?
Kunstvereine sind Orte der Begegnung, und das möchte ich hier in Lübeck weiter stärken. Der Pavillon soll ein offener Ort sein, an dem Menschen zusammenkommen, sich austauschen und neue Inhalte und Perspektiven entdecken. Ich plane ein Begleitprogramm, das über klassische Ausstellungseröffnungen hinausgeht: Listening Sessions, Workshops, Konzerte, Vorträge – ein breites Angebot für unterschiedliche Interessens- und Altersgruppen. Besonders wichtig ist mir, junge Menschen anzusprechen und sie für zeitgenössische Kunst zu begeistern.
Wie soll das konkret aussehen?
Es geht mir um niederschwellige Angebote. Viele Menschen wissen gar nicht, dass ein Kunstverein ein Ort ist, den man einfach besuchen kann. Als junger Mensch ist der Eintritt meist frei, man kann Mitglied werden, und bei den Eröffnungen sind die Künstlerinnen und Künstler sogar vor Ort. Diese Nähe und das Besondere an diesen Erlebnissen mit der Kunst möchte ich hervorheben und gleichzeitig Themen ansprechen, die junge Menschen besonders beschäftigen. Auch durch die Zusammenarbeit mit Schulen und lokalen Akteuren hoffe ich, den Kunstverein als Treffpunkt für alle Generationen zu etablieren.
Sie waren zuvor in Freiburg und Frankfurt tätig. Welche Erfahrungen bringen Sie mit?
In Freiburg habe ich die Biennale für Freiburg 2 geleitet und kuratiert. Dort war es mir wichtig, lokale und internationale Positionen miteinander in Dialog zu bringen. In Frankfurt habe ich den Ausstellungsraum „Elvira“ gegründet, der sich mit urbanen Themen auseinandergesetzt hat. Beide Projekte haben meinen Ansatz geprägt: Kunst soll sich mit ihrem Umfeld auseinandersetzen und die Geschichten des Ortes einbeziehen, an dem sie gezeigt wird.
Können Sie uns schon etwas über das kommende Programm der Overbeck-Gesellschaft verraten?
Ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, aber im ersten Jahr wird es viel um Perspektivwechsel gehen. Die erste Ausstellung, die schon am 15. Februar eröffnen wird, wird von der zypriotischen Künstlerin Maria Toumazou gestaltet, die sich mit den Themen Originalität und Reproduktion beschäftigt. Im Sommer folgt eine Gruppenausstellung, bei der sich der Pavillon stärker öffnen wird. Zum Jahresende hin wird es die Einzelausstellung einer Künstlerin und beeindruckenden Aktivistin geben, deren Migrationsgeschichte sie auch durch Lübeck führte. Jede dieser Ausstellungen soll etwas über den Ort erzählen, aber auch über die zeitgenössische Kunst und ihre Diskurse.
Was ist Ihr langfristiges Ziel für die Overbeck-Gesellschaft?
Ich wünsche mir, dass die Overbeck-Gesellschaft ein lebendiger Ort wird, an dem Menschen nicht nur Kunst betrachten, sondern auch Neues lernen, diskutieren und sich austauschen. Kunst hat die Kraft, uns zu verbinden und zum Nachdenken zu bringen – und genau das möchte ich hier in Lübeck fördern.
Paula Kommoss, vielen Dank für das Gespräch. Wir sind gespannt auf die kommenden Ausstellungen!
Vielen Dank, und ich freue mich auf Ihren Besuch!
Hier geht es zur Website der Overbeck-Gesellschaft.